Wann geben wir das Lenkrad endgültig aus der Hand? Markus Kramer macht emotional eine fiktive Zeitreise.
Einblicke und Gedanken von unserem Partner Markus Kramer über Kommunikations-Prinzipien mit einer breiten Anwendung für jeden Marketer, Kommunikationsspezialisten oder Unternehmer. 3. März 2017. © Brand Affairs AG.
Wann geben wir das Lenkrad endgültig aus der Hand? Wann heben die ersten Drohnenautos ab? Markus Kramer wurde eingeladen im Rahmen des bevorstehenden Autosalons in Genf (GIMS) eine eine fiktive Zeitreise zu machen.
Mein Sohn wird dieses Wochenende 14 Jahre alt. Das Wetter stimmt, die Sonne brennt auf den gleissenden Asphalt – und ich habe mir soeben einen Ferrari 207 MM Barchetta gegönnt! Eine echte Hommage an die Anfänge der Marke mit dem springenden Pferd. Okay, er liefert mehr als die damaligen 166 PS – aber einen V12 hat er immer noch. Das Ding meiner Begierde ist turbogeladen, klingt super und sieht noch besser aus. Kein Zweifel, Ferrari ist Ferrari geblieben, auch wenn ich nun die Power von fast 900 Pferdestärke für den Stadtverkehr bequem per App auf Strom schalten kann. Der Elektroantrieb genügt dafür vollauf. Ein Ferrari mit Elektromotor? Vor wenigen Jahren noch unvorstellbar.
An richtigen Fahrspass ist in der Stadt trotz vielen technologischen Errungenschaften in Mittelklassewagen nicht mehr zu denken. Fahrerlos fährt bei uns noch keiner. Es kann sich aber nur noch um ein paar Jahre handeln, bis wir hierzulande die «Autopiloten» offiziell einschalten dürfen. Funktionieren tun sie schon recht gut, nur die Erlaubnis fehlt – ich habe mit meinem Firmenwagen dafür kürzlich gar eine Busse eingefangen. Also ehrlich, das Auto fährt selber besser als ich - und ich kann meine Zeit produktiv nutzen. Endlich keine Ablenkung mehr beim WhatsApp-Schreiben während der Fahrt ins Büro!
Der Polizist weiss natürlich ganz genau, dass dies so ist – hat mich aber trotzdem 120 Franken gekostet. In Schweden fahren schon mehr als 20 Prozent der Leute nicht mehr selber: Das 2016 eingegangene Joint Venture zwischen Volvo und Uber lässt grüssen. Sicherheit ist mittlerweile immer weniger eine Frage des Angurtens. Viel mehr bringt die clevere, absolut vernetzte und damit passive Sicherheit. Bereits heute werden knapp 30 Prozent der Unfälle vermieden, bevor sie entstehen.
Endlich, er ist mein, der Barchetta. Zumindest für die nächsten vier Tage. Denn wenn ich ehrlich bin: Er gehört nicht wirklich mir. Ich habe ihn via Car E&D für praktisch kein Geld geliehen. Nicht von einem Händler, sondern von einem Firmeninhaber, der dieses Wochenende im Ausland weilt. Vor fünf Jahren wurden so schon Ferien, Hotels, Unterkünfte und vieles weitere angeboten oder gar getauscht. Natürlich gibt es Airbnb immer noch, auch Ebay und Ricardo sind noch da. Aber heute ist auch das Ausleihen von exklusiven Autos kein Problem mehr und funktioniert perfekt. Purer Spass, ohne dass ich mich um Versicherung, Unterhalt und natürlich Steuern kümmern muss.
Wir fahren los. Ich zusammen mit meinem Junior über den Klausen in die Zentralschweiz. Zu schnell geht nicht – wir werden sowieso laufend überwacht; das ist bereits standardmässig eingebaut. Ich kann das verstehen, vor allem gegenüber dem wirklichen Besitzer des Barchetta. Radikale Transparenz eben. Aber die Beschleunigung aus den Kurven ist einfach unglaublich, der Hybrid balanciert perfekt, liefert vollen Durchzug schon bei tiefen Drehzahlen. Natürlich ist das Verdeck unten, und das Strahlen auf dem Gesicht meines Juniors ist unbezahlbar.
Kurz einen Kaffee zum Start des Tages, zumindest das ist gleich geblieben. Mein iCar wartet schon: vorgewärmt und bereit, mich zur Arbeit zu fahren. Nach fünf Minuten kommt der erste Call, innerhalb einer Millisekunde wird aus der Windschutzscheibe ein kontrastreiches HD-Display. Joline, meine Assistentin, sowie ein Kunde in Sydney sind drauf. Die 30 Minuten ins Büro kann ich gut für diesen ungeplanten Videocall nutzen. Am Abend auf der Heimfahrt schaue ich dafür eine Episode von «Friends» – von 1995, glaube ich, ist aber immer noch toll. Und wenn ich die Werbungen nicht ausblende, bekomme ich sogar Geld dafür. Ja, Google gibt es immer noch.
Der Verkehr ist deutlich zurückgegangen, seit Gesetze und private Versicherungen Lösungswege für das autonome Fahren gefunden haben. Selber fahre ich schon seit 2025 nicht mehr. Das ist effizient und kostet weniger. Mein iCar lässt sich nicht mal mehr selber fahren – er hat kein Lenkrad. Nur ein paar Nachzügler fahren noch immer selber. Ich vermute, dass dies vor allem dem Ego geschuldet ist. Natürlich, niemand hat gesagt, dass das autonome Fahren einfach von heute auf morgen zur Normalität wird. Die Hemmschwelle dabei ist allerdings schon lange nicht mehr die Technologie, sondern der Mensch.
Wie die Zeit vergeht: Rafael ist Anfang Sommer 24 geworden. Er kennt das Selberfahren nur noch als Spassfaktor, sicher nicht zuletzt dank mir. Er hat sich einen neuen BMW xAI gekauft – nicht etwa beim Händler, sondern via VR (Virtual Reality) bequem von zu Hause aus. Übrigens: Das AI im Modellnamen bei BMW steht für «Articial Intelligence» (künstliche Intelligenz). Und geliefert hat sich das Auto selber – ist bei uns direkt vors Haus gefahren und hat uns angerufen.
Der Wagen ist top. Eine Brennstoffzelle liefert Energie für den Elektro- antrieb. Natürlich reichen die 180 PS bei einer Reichweite von fast 1500 Kilometern locker aus. Am tollsten finde ich den «All Off »-Button – drückt man drauf, meldet das System, dass die Versicherung während des Betriebs dynamisch angepasst und um 50 Prozent erhöht wird, dafür ist der Fun-Faktor exorbitant hoch. Für 100 Franken am Tag können via Software-Tuning schnell 360 PS und fast 400 Nm dazu gemietet werden. Natürlich ist das mit Vorsicht zu geniessen, und leisten kann sich Rafael das zum Glück nicht jeden Tag.
Heute ist mein Geburtstag, der 77. Damit gelte ich bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von mittlerweile 104 Jahren noch beinahe als jung. Wenn ich mich von A nach B verschieben muss, bestelle ich mir via Sprachsteuerung einen Xter – mit bis zu sieben Plätzen ist das autonome Fahrzeug mittlerweile auch in meiner kleinen Gemeinde jederzeit verfügbar. Meistens ist es innerhalb von fünf Minuten da und mit mir sitzen noch zwei bis drei weitere (echte) Menschen drin. Eine willkommene Abwechslung in einer total virtuellen und vernetzten Welt. Das Speicherungsproblem von Energie konnte mittlerweile fast vollständig gelöst werden. Die neuen Brennstoffzellen sind sicher, leicht und klein – und liefern für Autos fast unbeschränkte Energie.
Für diesen speziellen Tag habe ich mir beim Strassenverkehrsamt eine Spezialbewilligung geholt: Ich fahre im Aston Martin DB5 – dem echten, 286 PS starken James Bond Goldfinger-Auto aus den 1960er-Jahren – über den Gotthard ins Tessin. Mit mir zusammen sind mein Sohn Rafael und mein Enkel Luca. Luca kam 2043 auf die Welt. Ein siebenjähriger Blondschopf voller Energie, der noch nie in einem Auto unterwegs war, das manuell geschaltet und selber gefahren werden muss. Kein Wunder: Die ersten kommerziell verfügbaren, selbst fliegenden und fahrenden Multifunktions-Car-Drones – Vtools heissen sie – werden seine Generation prägen.
Wir brettern gerade zu dritt über die alte Tremola Richtung Airolo. Die Fenster sind geöffnet, der Wind pfeift durch alle Ritzen, der 4-Liter-Benziner heult in jeder Kurve laut auf – die Freude am Fahren steht uns allen ins Gesicht geschrieben. Es fühlt sich gut an, auch im Jahr 2050.
Rafael wird in 30 Jahren zusammen mit Luca und dessen Nachwuchs hoffentlich erneut im DB5 ins Tessin fahren – vermutlich ohne mich, aber ganz sicher wieder mit einem Strahlen im Gesicht. Denn Emotionen und Leidenschaft rund ums Auto werden uns erhalten bleiben.