Eddy ist ein neun Jahre alter Junge mit einer alkoholkranken Mutter und einem abwesenden Vater. Jeden Tag kommt er mit dem exakt gleichen Sandwich zur Schule: zwei Scheiben Brot mit nichts dazwischen. Zuhause gibt es kein anderes Essen und niemanden, der ihm etwas zubereiten könnte. Trotzdem stellt Eddy sicher, dass “ihn keiner bemitleidet oder die Unbeholfenheit seiner Mutter bemerkt”. So kommt er jeden Tag unweigerlich mit einem Lächeln ins Klassenzimmer und seinem “Brotsandwich” in der Tasche.[1]
Im Geschäftsleben nehmen Stressfaktoren eine andere Form an als bei Eddy. Störungen in den Lieferketten, grosse Nachfrageschwankungen, Produktrückrufe, Cyber-Angriffe – und natürlich die aktuelle Pandemie. Dies sind alles Beispiele, die unsere Resilienz auf die Probe stellen.
Resilienz ist unsere Fähigkeit uns vor den potentiellen negativen Auswirkungen von Stressfaktoren zu schützen. Erfolgreich sein, sogar noch besser zu sein, und dass trotz unglaublich schwieriger Umstände macht Resilienz aus. Aber das ist leichter gesagt als getan. Nur wenige Menschen und vermutlich noch weniger Unternehmen sind wirklich belastbar wenn es hart auf hart geht.
"Beurteile mich nicht nach meinem Erfolg,
beurteile mich danach, wie oft ich hingefallen
und wieder aufgestanden bin."
Nelson Mandela
Resilienz entsteht nicht über Nacht. Auf persönlicher Ebene spielen hier unsere Erziehung, unsere Umwelt, unsere Erfahrungen (gute und schlechte) und sogar unsere DNA eine Rolle. Organisatorische Resilienz ist einfacher zu erreichen. Was macht uns also resilienter?
Realistischer Optimismus
Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass Resilienz und Optimismus Hand in Hand gehen. Demnach sind “positive Personen auch resilienter”. So einfach ist das allerdings nicht. In seiner Arbeit Good to Great fragt Jim Collins Admiral Jim Stockdale, der acht Jahre lang vom Vietcong gefangen gehalten und gefoltert wurde: "Wer hat es nicht aus den Lagern herausgeschafft?" - "Oh, das ist einfach" antwortete Stocksdale. "Es waren die Optimisten. Sie waren diejenigen, die sagten, dass wir bis Weihnachten draussen sein würden. Und dann sagten sie, dass wir bis Ostern draussen sein würden und dann bis 4. Juli und danach bis Thanksgiving und dann war es wieder Weihnachten." Dann drehte sich Stockdale zu Collins und sagte: "Wissen Sie, ich glaube sie sind alle an gebrochenen Herzen gestorben”.[2]
Das soll nicht heissen, dass Optimismus keine Daseins-Berechtigung hat, bei weitem nicht. Aber ewiger Optimismus und das Leugnen der Realität sind einfache Optionen und repräsentieren gefährliche Bewältigungs-mechanismen in harten Zeiten. Es ist tatsächlich viel schwieriger, wenn nicht sogar schmerzhaft, der Realität ins Auge zu schauen. Wir müssen unsere Optionen mit einem pragmatischen Ansatz betrachten, vor allem wenn es um überlebenswichtige Belange geht. Wir führen unsere Unternehmen auch nicht auf dem Rücken der Hoffnung. Im Kontext der Stärkung unserer organisatorischen Resilienz überwiegt ein bodenständiger Sinn für Realität bei weitem die Option "einfach nur positiv zu sein".
Ein gemeinsames Wertesystem
Nachdem eine frühere Uber Mitarbeitern einen öffentlichen Post über sexuelle Belästigung und Diskriminierung geschrieben hatte, bezeichnete die Schlagzeile eines New York Times Artikel die Unternehmenskultur von Uber als “aggressiv und hemmungslos”. [3] Von den 14 (!) Werten die Uber vor der Krise definiert hatte, umschrieb kein einziger davvn, was gutes Verhalten im Unternehmen ist. Nach der Krise postete der neue CEO, dass “die Kultur und der Ansatz, den Uber bisher verfolgt, das Unternehmen künftig nicht auf die nächste Ebene hieven wird", zusammen mit einem neue Wertesystem, dass ein "Wir tun das Richtige" beinhaltete. Zu Recht werden Marken und Unternehmen zunehmend öffentlich zur Verantwortung gezogen aufgrund dessen was sie vorgeben zu sein - was sich in Zeiten von Stress tendenziell noch stärker bemerkbar macht.
Es ist ganz entscheidend, in dem was wir tun Sinn zu finden. Unser innerstes Warum, unser Raison d’Être oder mit anderen Worten. unser Purpose, artikuliert in erster Linie unsere Daseinsberechtigung. Purpose agiert zum einen als spirituelle Quelle von Energie und zum anderen als Polarstern, der uns Orientierung gibt – besonders in schwierigen Zeiten. Um diesen Gravitationskern schwingen unsere Werte, welche uns konstant helfen uns zu formen und kontinuierlich beeinflussen, wie wir uns als Individuen und Organisationen verhalten.
Zweck- und Wertesysteme sind das Herzstück einer echten Resilienz. Erfolgreiche, widerstandsfähige Unternehmen halten und zelebrieren ihre Wertesysteme fast schon religiös. Die Wertesystem solcher Unternehmen ändern sich im Laufe der Zeit nur wenig und dienen als Schutz in schwierigen Momenten. Ein tief verankertes Wertesystem ist nicht nur da um harte Zeiten zu meistern, sondern dient auch als Bindegewebe, das auch dann hält, wenn es gedehnt wird.
Wenn ein Sturm aufzieht und man vor einem Baum steht,
wenn man sich seine Zweige ansieht,
könnte man schwören, dass er fallen wird...
Aber wenn man den Stamm betrachtet, sieht man seine Stabilität.”
Zitat von The Revenant
Planen, erfinderisch sein und agil bleiben
Elon Musk hat $180M verloren und war 2008 tief verschuldet. Zwölf Jahre später ist er 45 Milliarden Dollar wert. Steve Jobs verlor 1994 sein gesamtes Apple Vermögen, indem er auf NeXT und Pixar setzte. 1995 verkaufte er NeXT an Apple, Pixar an Disney und verschenkte damit eine Ikone. Walt Disney verpfändete in den 1950er Jahren sein gesamtes Vermögen, um Disneyland zu bauen - gegen den Rat aller. Und wurde damit vom Mann, der alles aufgab, zur Legende. Das alles sind Beispiele von Unternehmern die Widrigkeiten mit Coolness begegneten, die sich darüber bewusst warne, wer sie sind und warum sie dort waren. Sie alle hatten eines Gemeinsam: die Fähigkeit, neues zu sehen kombiniert mit der Agilität das auch anzupacken und umzusetzen.
Resilient zu sein bedeutet auch nach einem Rückschlag schnell wieder auf die Beine zu kommen. So starr wie die Klarheit der eigenen Daseinsberechtigung (Purpose) und das innere Wertesystem sein sollten, so flexibel und dynamisch sollte das Ökosystem einer Organisation sein. Nur so wird eine dynamische Anpassung an einen sicher verändernden Kontext möglich.
Auch wenn man Resilienz nur beschränkt planen kann, so kann man sie ökonomisch gesehen zumindest optimieren. Zum Beispiel durch Schuldenabbau. Weniger Schulden bedeutet weniger Stress, wenn der Druck steigt. Durch Dezentralisierung von Tätigkeiten und Investitionen in Technologien schafft man weitere Möglichkeiten eine Organisation zu optimieren, die agil und dynamisch agieren kann – auch wenn das zum Beispile für manche Personen bedeutet, auf Remote-Arbeit umsteigen zu müssen.
Für Organisationen bedeutet das, vorbereitet zu sein und eine Reihe von Fähigkeiten (und Menschen) zu entwickeln die gut darin sind, mit dem zurecht zu kommen, was sie haben. Erfinderisch zu sein, wenn man mit Widrigkeiten zu kämpfen hat, ist sicher keine leichte Aufgabe. Es erfordert ein Umdenken, um Möglichkeiten und Chancen zu erkennen. Und Mut, diese mit einer Mentalität des ‘Anpackens’ anzugehen.
Wieso sich Resilienz auszahlt
Sein Unternehmen resilienter zu machen ist nicht nur eine gute Absicherung für schwierige Zeiten, sondern kann bewusst dazu genutzt werden, Chancen zu maximieren und stärker aus Rückschlägen hervorzutreten. Wie Reeves und Whitaker in ihrem jüngsten Harvard Business Review Artikel feststellten: “Resilienz repräsentiert nicht nur die Möglichkeit das Risiko zu minimieren, sondern auch die Chance, Werte und Wettbewerbsvorteile für Unternehmen zu schaffen. [4]
Sind Sie bereit?
Nicht alle von uns sind so resilient wie Eddy oder Elon Musk. Aber es gibt gute Möglichkeiten über unserer aktuelle Resilienz reflektieren und anzudenken, was wir verbessern können. Hier sind drei Fragen, die helfen herauszufinden, wie resilient wir schon sind und wo noch Luft nach oben ist:
Aber selbst die wohlüberlegteste Vorbereitung und das beste Training für Resilienz kann niemals vollständig sein. Resilienz ist ein facettenreiches Biest, das von weit mehr beeinflusst wird als wir uns als Individuen und Organisationen überhaupt vorstellen können, geschweige denn kontrollieren. Was wir aber tun können, ist bewusst darüber nachzudenken um damit stärker, besser vorbereitet - und hoffenlich resilienter – zu werden.
[1] Story based on research undertaken by Norman Garmezy, Emeritus Professor of Psychology at the University of Minnesota and largely credited with the study of resilience.
[2] Taken from How Resilience Works, by Diane Couto, HBR May 2002, https://hbr.org/2002/05/how-resilience-works
[3] Source https://qz.com/work/1123038/uber-has-replaced-travis-kalanicks-values-with-eight-new-cultural-norms/
[4] Whitaker, Martin Reeves and Kevin. “A Guide to Building a More Resilient Business.” Harvard Business Review, 2 July 2020, https://hbr.org/2020/07/a-guide-to-building-a-more-resilient-business?ab=hero-main-text